Ra-was? Ra-wer? Raquo »

Das typographische Zeichen Raquo ist ein Teil der französischen Anführungszeichen, die hierzulande Guillemets genannt werden und damit ein Interpunktionszeichen. Dabei weisen diese im französischen Original immer von dem in Anführungszeichen gesetzten Wort weg, also beispielsweise wie in «exemple». Dies handhaben auch andere romanische Länder inklusive der Schweiz (für alle ihrer vier Sprachen) so. Feiner Unterschied: Im Französischen wird dem einzelnen Guillemet ein Leerzeichen vor- bzw. nachgestellt, weshalb dieser Art der Guillemets auch als „Guillemets français“ bezeichnet werden. Korrekt heißt es in Frankreich also « exemple ». Dies wird in der Schweiz unterlassen; hier heißt es «exemple» oder «Beispiel».

Benutzt man Guillemets im Deutschen, weisen die Spitzen auf das in Anführungszeichen gesetzte Wort (oder, bei wörtlicher Rede, den Satzteil bzw. Satz) hin, wie im Wort »Beispiel«. Dies gilt übrigens auch für die Verwendung der einfachen Guillemets, die hierzulande umgangssprachlich als „halbes Spitzzeichen“ bezeichnet werden. Das nach rechts weisende Guillemet (›) führt das Wort oder die Phrase an, das nach links weisende (‹) schließt sie ab. Die deutsche Verwendung mit der Spitze nach Innen brachte den Guillemets zwei Beinamen ein. Zum einen die der „umgekehrten französischen Anführungszeichen“ sowie das kosende „Möwchen“. Mancherorts spricht man auch vom „Doppelpfeil“, was jedoch typographisch nicht korrekt ist.

In Deutschland werden sowohl Guillemets als auch die weitaus häufiger anzutreffenden, gewöhnlichen Anführungszeichen (liebevoll auch „Gänsefüßchen“ genannt) als korrekt akzeptiert. Es gibt keine Regelung, wann welche Anführungszeichen zu verwenden sind. So stehen sie im „Amtlichen Regelwerk für das Deutsche“ als gleichwertige Möglichkeiten nebeneinander. Dennoch hat sich eingebürgert, dass Guillemets hierzulande meistens dann zum Einsatz gelangen, wenn einem Schriftstück ein eleganteres Erscheinungsbild verliehen werden soll. So etwa im Buchdruck schöngeistiger Literatur, wo sie zum Standard gehören. In der deutschen Handschrift werden dagegen üblicherweise deutsche Anführungszeichen verwendet. Dasselbe gilt für die Maschinenschrift. Aus diesem Grunde werden Guillemets auch als „typographische Anführungszeichen“ bezeichnet. In einem Autorenforum, wo es um das Thema ging, dass es keine belletristische Literatur mit deutschen Anführungszeichen, sondern immer nur mit französischen gibt, wurden sie sogar salopp „Gullis“ genannt.

Egal, wie man sie auch bezeichnen möchte: Guillemets blicken auf eine lange Geschichte zurück. Schon in der Spätrenaissance, genauer: nachweisbar erstmals im Jahr 1527, wurden sie zur Zitatmarkierung verwendet. Sie sind nach ihrem Erfinder Guillaume II Le Bé benannt, denn Guillemet ist eine Verkleinerungsform des Namens Guillaume, zu Deutsch: Wilhelm. Ursprünglich stammen die Guillemets aus der Antiqua-Tradition – einer Schriftgattung römischen Ursprungs. Vermutlich haben sie sich aus Kolumnenkommentaren entwickelt, wo sie dazu dienten, Passagen aus anderen Sprachen sowie Zitate zu kennzeichnen.

Noch ein Wort zu Guillemets: Es sind auch nur wir Deutschen, die das doppelte Spitzzeichen als Guillemet bezeichnen. Bei den Franzosen dient „Guillemets“ als Sammelbegriff für alle Anführungszeichen. Will man auf Französisch die Spitzzeichen spezifizieren, spricht man von „Chevrons“. So weit, so kompliziert.

Raquo » als Teil der Guillemets

Das Raquo ist dabei jene Hälfte der Guillemets, die nach rechts verweist, also diese hier: ». Im Französischen wäre es demzufolge das abschließende Anführungszeichen, während es im Deutschen das eröffnende ist.

Der Unicode für das Zeichen ist U+00BB; sein Postscript-Name ist guillemotright. Wer auf dem PC schnell ein eröffnendes Guillemet tippen möchte, benutzt dafür die Tastenkombination [alt]+[0187], für ein schließendes Guillemet [alt]+[0171]. Auf dem Mac funktioniert das gleiche Spiel mit [shift+[alt]+[q] bzw. [alt]+[q].

Will man das Guillemet rechts auf Deutsch korrekt benennen, wird’s etwas umständlich, denn sein vollständiger Name ist „Doppeltes spitzes Anführungszeichen rechts“. Auch auf Englisch, das die Dinge ja zumeist etwas einfacher macht, wird es mit „Right-Pointing Double Angle Quotation Mark“ nicht viel besser.

Zur seiner Bezeichnung ist Raquo erst durch HTML-Codierung gelangt. Um es zu kreieren, muss mit „& raquo“ codiert werden. Folgerichtig wird beim Guillemet links mit „& lsaquo“ codiert, weshalb sein linkes Gegenstück als Laquo bezeichnet wird. Das Wort selbst ist also ein Kunstwort, es gibt kein französisches Wort, das so lautet. Und so wird das Raquo erst seit Aufkommen von HTML-Sprech auch als solches bezeichnet. Von der Programmierer-Szene hat es sich dann auch in Typographen-Kreise verbreitet. In der Umgangssprache ist das Wort jedoch noch nicht angekommen, die meisten Menschen auf der Straße dürften, zum Thema befragt, nicht wissen, worum es sich bei hierbei handelt. Auch der Duden führt zu dem Begriff keinen Eintrag.

Weshalb sollte man ein Raquo benutzen? (Und weshalb nicht?)

Neben seinem offensichtlichen Zweck, in HTML-Texten ein eröffnendes französisches Anführungszeichen zu kreieren, kommt das Zeichen immer dann zum Einsatz, wenn es elegant werden soll – oder man zumindest eine gewisse Eleganz, Klasse und Stil signalisieren möchte. Fernab der schöngeistigen Literatur kann das Zeichen – im Verbund mit seinem Partner Laquo – etwa als Zwischenüberschriften dienende Zitate in teuren Magazinen kennzeichnen und somit ganz en passant auf die Hochwertigkeit des Textes bzw. Layouts hinweisen.

Da die französischen Anführungszeichen gemeinhin als extrem edel gelten, wird man sie auch auf Speisekarten in teuren Restaurants finden, wo das in Leder oder Leinen gebundene Menü aus einer maschinellen Handschrift gesetzt ist. Auch auf Einladungskarten zur Hochzeit sind Guillemets gern gesehene Gäste – und überall dort, wo es außergewöhnlicher (und damit letzten Endes teurer) wirken soll.

Dabei ist wichtig zu wissen, dass das Raquo im Grunde nie ohne seinen Partner Laquo genutzt werden kann. Unarten, wie etwa Bulletpoints jeweils zu Beginn des Stichpunktes einer Aufzählung durch Raquos zu ersetzen, sind genau das: Unarten. Dadurch wird ein Schriftstück nicht eleganter, sondern beweist lediglich, dass der Verfasser weder Ahnung von Interpunktion noch von Typographie hat.

Auch dort, wo Anführungszeichen – in egal welcher Erscheinungsform – generell nichts verloren haben, wird ein Text nicht besser, wenn anstatt auf deutsche Anführungszeichen auf französische zurückgegriffen wird. Hunderte Beispiele dieser unsinnigen Anführungszeichen gibt’s bei Awkward Anführungszeichen – das Zuhause für die absurdesten Anführungszeichen nicht mehr nur auf Instagram, sondern auch als Buch. So etwa wird oft fälschlicherweise gedacht, Anführungszeichen dienten der Betonung. Da ist dann vom „Buch“ des Jahres die Rede, oder von einem „Alkoholverbot“ – wobei im Grunde ja das Gegenteil gilt: Anführungszeichen bekräftigen nicht das angeführte Wort, sondern deuten auf eine subtile Ironie des Gesagten hin. Der Verweis auf ein „Alkoholverbot“ auf einer Party hieße demnächst nichts anderes als „Bringt so viel Hochprozentiges mit, wie ihr könnt, wir lassen es heute richtig krachen!“. Dasselbe gilt natürlich auch für das »Alkoholverbot«. Ebenso sollte einen die angepriesene »Nachhilfe« in der Annonce eines Studenten stutzig machen, dem man sein pubertierendes Töchterchen zum Unterricht schicken möchte …

Auch werden Eigennamen wie etwa „Der Tagesspiegel“ nicht in Anführungszeichen gesetzt – weder in deutsche noch als »Der Tagesspiegel« in französische. Typographisch richtig wäre, den Zeitungsnamen kursiv zu schreiben. Grund? Die Anführungszeichen zitieren hier nichts, also sind sie fehl am Platze. Wo es aber Gepflogenheit ist, den „Tagesspiegel“ an- und abzuführen, muss darauf geachtet werden, seinen Artikel als „Der Tagesspiegel“ nur dann in die Anführungszeichen einzuschließen, wenn sich dieser nicht ändert. Spreche ich von dem „Tagesspiegel“, wird der gebeugte Artikel nicht mit eingeschlossen. Generell scheiden sich an Werktiteln – also dem Namen von Büchern, Filmen, Musikalben – die Geister. Oft wird beispielsweise der Name eins Albums ebenfalls kursiv geschrieben, der eines Songs daraus jedoch in Anführungsstriche gesetzt. Hier hat jede Redaktion ihre eigenen Regeln – wer für eine bestimmte Zeitschrift schreibt, wird diese als sogenanntes Style Sheet ausgehändigt bekommen.

In Kurzform lässt sich aber merken: Anführungszeichen sollten tatsächlich nur wörtliche, also direkte Rede wiedergeben (Die Schreiberin dieses Blog-Beitrages hat gesagt: „Anführungszeichen sollten tatsächlich nur wörtliche, also direkte Rede wiedergeben.“) oder Zitate markieren. Ausnahme sind Eigenzitate, die den Sinn umkehren, wie das oben beispielhaft angeführte „Alkoholverbot“. Wenn die sprachliche Eleganz durch die richtige Verwendung von Interpunktionszeichen stimmt, stellt sich die optische Eleganz nämlich ganz von selbst sein.